Er kommt durch die Haustür, klitschnass, schmeißt seine Jacke in die Ecke, stampft mit den vor Matsch ganz braunen Schuhen feste auf den Boden, um sie dann wütend von sich zu schleudern. Dann bricht er schluchzend zusammen. Kauert leise weinend mit den Händen vorm Gesicht in der Ecke – minutenlang.
Der Vater kommt, berührt ihn leicht an der Schulter und … „Lass mich!“ Die Schulter schüttelt die Hand ab. „Geh weg!“
Der Vater bleibt. Setzt sich daneben. Nimmt ihn behutsam in den Arm – vorsichtig erst und dann immer fester. Gibt dem Sohn Schutz und Geborgenheit. Streichelt seinen Rücken. Sie schweigen. Nur das Schluchzen dringt gelegentlich durch die Stille.
Dann endlich beginnt der Sohn zu sprechen. „Es ist so unfair. Immer bin ich an allem Schuld. Die anderen wollen mich nie mitspielen lassen. Sie hören mir nicht mal zu, wenn ich etwas sage. Papa, sie lachen über mich. Ich will nicht mehr.“
Liebe und Anerkennung
Solche und ähnliche Situationen kennen Sie genauso gut wie ich. Sie betreffen nicht nur Kinder, sondern auch uns Erwachsene regelmäßig.
Wir alle sind als soziale Wesen abhängig von der Gunst der anderen. Wir müssen uns sicher aufgenommen wissen in einem sozialen Gefüge, einer Gruppe, der Gesellschaft.
Daher strebt jeder – egal in welchem Alter – nach Liebe und Anerkennung. Aus dieser Liebe und Anerkennung speist sich unser Selbstwert.
Das Wort Selbstwert ist ein nicht so gern benutztes. Oft besteht im Kopf eine Verbindung zwischen Selbstwert und Egoismus. Dies erschwert einiges.
Was bedeutet also Selbstwert genau?
Alles Wichtige steckt bereits im Wort: Selbst und Wert.
Was bin ich mir, sind Sie sich selbst wert? Welche Gefühle und Vorstellungen haben Sie von sich selbst?
Dieser Selbstwert ist nicht angeboren. Er entwickelt sich. Wie so vieles. Dabei haben die Eltern und Erwachsenen im Umfeld eines Kindes eine sehr große Verantwortung, die den meisten gar nicht bewusst ist. Die Basis für ein gesundes Selbstwertgefühl ist damit direkt gefährdet.
Denn woran orientieren wir uns, wenn wir unseren eigenen Wert „festlegen“?
Richtig, zunächst an anderen. Wer bekommt mehr Aufmerksamkeit? Wer bekommt mehr Liebe? Was muss ich dafür tun, was führt am leichtesten und schnellsten zum Erfolg? Der „Selbst“-Wert wird also (zunächst) durch den „Ander“-Wert bestimmt. Was bin ich in den Augen anderer tatsächlich wert? Wir bekommen ein Gefühl dafür, was „gut“ und „schlecht“ ist – wann ein Mensch als „wertvoll“ oder „unnötig“ gilt. Auf diesen Erkenntnissen bauen Kinder (und auch Erwachsene) ihr Selbstwert, ihre Muster, ihre Realität auf.
Hierbei sei angemerkt, dass Anerkennung und Aufmerksamkeit nicht zwingend positiv sein müssen.
Nun sind Sie erwachsen und suchen noch immer nach Liebe und Aufmerksamkeit bzw. Anerkennung. Vielfach unbewusst, aber Sie tun es. An Ihrem Fundament können Sie nicht mehr viel ändern, aber Sie können einiges dafür tun, damit Ihr Selbstwert-Haus trotzdem stabiler als bisher steht.
Für Kinder gilt das gleiche. Da können Sie sogar noch ganz leicht ein wunderbar stabiles Fundament anlegen, auf welches Ihr Kind leicht und sicher aufbauen kann.
Die 3 Punkte sollten Sie klären
Sie sollten sich dazu der folgenden drei Punkte bewusst werden.
1. Welcher Selbstwert-Typ sind Sie?
Es gibt zwei unterschiedliche Typen von Selbstwert und Sie sollten wissen, welchem Sie angehören.
Die zwei Formen unterscheiden sich in der Selbstwertgewinnung. Auch hier wird die Basis in den ersten sechs Lebensjahren gelegt.
Zunächst gibt es den „Tun“s-gesteuerten Typ. Er erhält seine regelmäßige Selbstwertdosis durch das was er tut. Er leistet etwas und bekommt dafür Anerkennung durch ein Lob, eine Streicheleinheit, einen Vorteil. Die meisten Menschen finden sich hier in diesem Typus wieder. Sie leiden – je nach Ausprägung des eigenen Perfektionismus, der Erfahrungen in Kindheit und Ausbildung – mehr oder weniger stark unter dem herrschenden Leistungsdruck. Denn sie haben gelernt, dass das Gefühl „OK“ zu sein, sich erst mit hoher Leistung einstellt. Entsprechend hoch werden die eigenen Ziele gesetzt.
Wenn Sie Kollegen oder Mitarbeiter haben, die Tuns-gesteuert sind, dann haben Sie es leicht. Loben Sie. Erkennen Sie die Leistung an. Das ist Motivation pur.
Das Sprichwort: „Nicht geschimpft, ist gelobt genug.“ ist hier also mehr als fehl am Platze.
Völlig anders ist es mit dem zweiten Typus. Dieser ist nämlich Seins-gesteuert. Die Basis des Selbstwert ist dabei schlicht das Sein – Hier-Sein, am-Leben-Sein, Anwesend-Sein. Der Seins-gesteuerte erwartet allein durch seine Anwesenheit Anerkennung und Liebe. Diese Menschen sind in ihrer Kindheit um ihrer selbst willen akzeptiert worden. Sie haben ohne besonderen Grund oder besondere Notwendigkeit Zuwendung erfahren.
Was für den Aufbau des Selbstwerts ganz hervorragend ist, erschwert gleichzeitig ungemein das spätere Zusammenleben. Denn diese Seins-gesteuerten erwarten auch später eine Anerkennung für bloßes Sein. Ihr Gefühl „OK“ zu sein ist recht schnell befriedigt. Denn es ist völlig unabhängig von Leistung. Daher setzen diese Menschen ihre Ziele eher niedrig an. Leistungsdruck kennen sie nicht. Sie sind sehr schwer zu motivieren. Denn so wie sie sind, sind sie gut. Warum sollten sie also etwas tun und dann womöglich noch etwas Neues, Unbekanntes?
Zu welchem Typus zählen Sie sich?
2. Woher bekommen Sie Bestätigung?
Wenn Sie also nun wissen, ob Sie eher Tuns- oder Seins-gesteuert sind bezüglich Ihres Selbstwerts, dann sollten Sie natürlich auch wissen, woraus Sie Ihre Bestätigung ziehen.
Seins-gesteuerte haben es da besonders schwer. Denn es gibt nur wenige Menschen um sie herum, die ähnlich gesteuert sind. Daher werden sie von außen eher selten Anerkennung, die sie benötigen, erfahren. Zumeist sind es die Eltern, die weiterhin diesen Part übernehmen. Auch wenn es böse klingt, die Seins-gesteuerten wohnen deutlich länger zuhause bei den Eltern als die Tuns-gesteuerten. Nun wissen Sie auch warum.
Für die Tuns-gesteuerten ist es deutlich wichtiger und auch schwieriger sich die Frage nach Bestätigung zu beantworten. Es gibt hier genau drei Möglichkeiten: Beruf, Familie/Beziehung oder Gesellschaft. Im Idealfall beziehen Sie Ihre Anerkennung aus allen drei Bereichen. Denn Einseitigkeit – Sie wissen es – ist auf Dauer schädlich. Wie Sie sowohl ein guter Arbeitnehmer, Familienvater oder –mutter und ein angesehenes, wichtiges Mitglied der Gesellschaft sein können, ohne schlechtes Gewissen, Verzicht und Zeitmangel erfahren Sie selbstverständlich von mir. Melden Sie sich für den Blicköffner-Newsletter an oder folgen mir auf Facebook.
Aus welchem Bereich ziehen Sie im Moment Ihre Anerkennung, die Energie für Ihren Selbstwert?
3. Kennen Sie Ihren Status quo?
Als letzten Punkt sollen Sie sehr ehrlich mit sich selbst umgehen und sich nicht selbst belügen. Um zu wissen wo Sie stehen, sollten Sie regelmäßig den Status quo überprüfen. Spätestens jedoch wenn Sie im Gedankenkarussell gefangen sind und die Spirale anfängt, sich abwärts hin zu den negativen Gedanken zu drehen.
Überlegen Sie also regelmäßig, ob Ihr Selbstwert hoch oder niedrig ist. Sie können sich da gern einen Topf vorstellen, der entweder hoch/gut oder niedrig/schlecht gefüllt ist.
Ihr Selbstwert ist niedrig, wenn Sie sich unnütz oder unwichtig fühlen. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass Sie sich schlecht fühlen oder schlecht drauf sein müssen. Es ist eher das Gefühl, überflüssig zu sein oder nicht gebraucht zu werden.
Ist Ihr Selbstwerttopf gut gefüllt, Ihr Selbstwert also hoch, dann wissen Sie ziemlich genau, was Ihre Aufgabe hier ist, wozu Sie gut sind, warum Sie tun was Sie tun oder warum Sie einfach hier sind.
Ihr Unterbewusstsein checkt den Status quo ständig. Nicht nur auf den Selbstwert bezogen. Wenn der Selbstwert jedoch niedrig ist, der Topf als recht leer, dann sind Sie deutlich anfälliger für schlechte Laune, Ungerechtigkeiten, Aggressionen und die „Ich bin mit der Gesamtsituation total unzufrieden“-Laune. Damit füllt sich der Selbstwerttopf dann umso schwerer…
Wie sehr ist Ihr Selbstwerttopf gerade gefüllt?
Der Vater aus dem obigen Beispiel weiß all das über das Selbstwertgefühl. Er möchte eine gesunde Mischung für seinen Sohn. Denn die Mischung im Beton des Fundaments entscheidet über die Stabilität. So darf sein Sohn also Streicheleinheiten und Liebe für seine Anwesenheit genießen. Noch mehr Anerkennung bekommt er, wenn er sich einsetzt, wenn er etwas tut. Wenn er seine Wünsche und Erwartungen ausspricht, den Kontakt sucht ohne davon zu laufen und damit Ergebnisse erreicht, die er nur mit seinem „sein“ nicht erreicht hätte. Nämlich Anerkennung von den anderen Kindern für seine Offenheit, die Liebe seiner Familie für seinen Mut und um seiner selbst willen.
Und nun sind Sie dran!
- Wie steht es um Ihren Selbstwert heute?
- In welchen Situationen wünschen Sie sich manchmal stärker für sich einzustehen?
- Was tun Sie, damit Ihre Kinder selbstbewusst und stark durch ihr Leben gehen können, ohne dabei den Willen anderer zu übergehen?
Ich bin sooo gespannt auf Ihre Erfahrungen.
Bleiben Sie wertvoll.
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Halten Sie den Blick offen. Für Ihren Einblick > Durchblick > Ausblick.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank! Sehr schön geschrieben!